Weiterwandernde Flüchtlinge innerhalb der EU

Unter Weiterwanderung wird hier eine Form der innereuropäischen Migration verstanden. In diesem Sinn bedeutet Weiterwanderung die beabsichtigte Niederlassung von Drittstaatsangehörigen, die in einem EU-Staat einen Aufenthaltstitel besitzen, in einem anderen EU-Staat. Dabei handelt es sich also nicht nur um Drittstaatsangehörige mit internationalem Schutzstatus (subsidiärer Schutz oder Flüchtlingsanerkennung), sondern um all diejenigen, die irgendeine Form von Aufenthaltstitel aus einem EU-Staat besitzen. Im Folgenden werden sechs Konstellationen vorgestellt, angelehnt an die Arbeitshilfe des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Zusammen mit möglichen Fallbeispielen sollen sie informieren welche legalen Möglichkeiten zur Weiterwanderung innerhalb der EU bestehen, mit besonderem Fokus auf weitergewanderte Geflüchtete nach Deutschland.

Ausgenommen von aufenthaltsrechtlichen Möglichkeiten sich in einem EU-Staat niederzulassen sind visumsfreie Besuche für bis zu drei Monaten.

Drittstaatsangehörige, die einen gültigen Pass/Passersatz haben und von einem Schengen-Staat* einen gültigen oder vorläufigen Aufenthaltstitel oder ein Reisedokument oder ein nationales Visum besitzen, können für bis zu drei Monate visumsfrei nach Deutschland einreisen. Für diesen Zeitraum darf keine Beschäftigung aufgenommen werden und der Zugang zu Sozialleistungen wird nur in Notfällen gewährt. Die Krankenversicherung aus dem Schengen-Staat besteht weiterhin.

*Bulgarien, Kroatien, Rumänien, Zypern, Großbritannien und Irland sind keine Schengen-Staaten, da sie das Schengen-Abkommen nicht vollständig anwenden.

Mögliches Fallbeispiel:

Eine Syrerin mit Flüchtlingsanerkennung in Frankreich kann mit diesem Aufenthaltstitel und ihrem gültigen Reiseausweis für Flüchtlinge für bis zu drei Monaten ihre Schwester in Deutschland besuchen.

 

Konstellation 1: Familienangehörige von Unionsbürger*innen

Drittstaatsangehörige, die als Familienangehörige* eine*n Unionsbürger*in begleiten bzw. ihm*ihr nachziehen, dürfen visumsfrei einreisen. Vorausgesetzt die Drittstaatsangehörigen besitzen einen gültigen Pass/Passersatz und einen von einem Schengen-Staat ausgestellten gültigen oder vorläufigen Aufenthaltstitel oder ein Reisedokument oder ein nationales Visum.

Insofern der*die Unionsbürger*in beschäftigt, selbstständig, arbeitssuchend oder daueraufenthaltsberechtigt ist, muss der Lebensunterhalt nicht gesichert sein (ggf. muss ein Teil des Unterhalts gesichert sein). Nichterwerbstätige Unionsbürger*innen müssen den Lebensunterhalt allerdings sichern können.

Es besteht ein freier Arbeitsmarktzugang und Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, u.U. SGB XII.

*Definition Familienangehörige: § 3 FreizügG, Art. 2 Nr.2 Unionsbürgerrichtlinie, RL 2004/38/EG.

Mögliches Fallbeispiel 1:

Ein Iraker mit Flüchtlingsanerkennung in Norwegen kann mit diesem Aufenthaltstitel und seinem gültigen Reiseausweis für Flüchtlinge visumsfrei seiner Mutter mit schwedischer Staatsangehörigkeit nach Deutschland folgen.

Konstellation 2: Daueraufenthalt-EU

Nach fünfjährigem rechtmäßigem Aufenthalt eines Drittstaatsangehörigen in einem EU-Staat* kann eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU erworben werden. Damit hat man ein eingeschränktes Freizügigkeitsrecht sich in einem anderen EU-Staat* längerfristig niederzulassen. Generell sollte der Status auf dem Aufenthaltstitel erkennbar sein, bzw. kann bei der zuständigen Botschaft oder Behörden im EU-Staat erfragt werden.

*außer Großbritannien, Irland und Dänemark

 

Voraussetzung für die Beantragung eines längerfristigen Aufenthalts in Deutschland von Daueraufenthaltsberechtigten-EU:

  • Innerhalb von drei Monaten nach Einreise muss ein Antrag auf Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG bei der Ausländerbehörde gestellt werden.
  • Der Lebensunterhalt für alle Familienangehörigen muss gesichert sein (§ 5 AufenthG), ein ergänzender Anspruch auf SGB II-Leistungen sollte unschädlich sein (EuGH Rechtssache „Chakroun“, C-578/08; BVerwG 1 C 20.09).
  • Ein Nachweis über einen Krankenversicherungsschutz ist zu erbringen.
  • Ggf. sollten Nachweise über Arbeits-, Ausbildungs-, Studiumsplatz oder selbstständige Erwerbstätigkeit vorgelegt werden.
  • Ein Visumsverfahren muss nicht nachgeholt werden.

Arbeitsmarktzugang für Daueraufenthaltsberechtigte-EU mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 38a AufenthG:

Freiberufliche Tätigkeiten und selbstständige Erwerbstätigkeit sind nach den Vorgaben in § 21 AufenthG möglich. Für unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse gilt generell, dass eine Erlaubnis der Ausländerbehörde eingeholt werden muss. Diese wiederum braucht dafür die Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA führt dazu eine Vorrang- und Beschäftigungsbedingungsprüfung durch. Es gibt einige Ausnahmen, in denen die BA nicht zustimmen muss (siehe Aufenthaltssicherung für weitergewanderte Flüchtlinge Eingeschränkte Freizügigkeit oder irreguläre Sekundärmigration?, S. 22). Nach einem Jahr in der Aufenthaltserlaubnis § 38 a AufenthG, kann jede unselbstständige Beschäftigung aufgenommen werden (Art. 21 Abs. 2 Satz 2 RL 2003/109/EG).

Personen mit dieser Aufenthaltserlaubnis haben (nahezu) Zugang zu sämtlichen sozialen Leistungen.

Mögliches Fallbeispiel 2:

Eine Nigerianerin mit einer Flüchtlingsanerkennung in den Niederlanden, kann dort nach fünf Jahren einen Daueraufenthalt EU beantragen und dann visumsfrei nach Deutschland einreisen und eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, insofern sie ihren Lebensunterhalt sichern kann.

 

Voraussetzungen für die Beantragung Daueraufenthalt-EU nach dem deutschen Recht (§ 9a AufenthG):

Ein Daueraufenthalt-EU ist auf Antrag zu erteilen, wenn ein*e Drittstaatsangehörige*r fünf Jahre mit Aufenthaltstitel in Deutschland gelebt hat, für alle Familienangehörigen der Lebensunterhalt gesichert und ausreichend Wohnraum vorhanden ist, ein Integrationskurs abgeschlossen wurde (bzw. Deutschkenntnisse auf Niveau B1 und Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet vorliegen), und Gründe der öffentlichen Sicherheit der Erteilung nicht entgegenstehen.

Allerdings kommt es auch auf die Art des Aufenthaltstitels an. Der Gesetzgeber möchte vermeiden, dass über Aufenthaltstitel, die nur für einen vorübergehenden Aufenthalt bestimmt sind, direkt ein Daueraufenthalt-EU erworben werden kann. Dazu zählt z.B. auch eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG (Abschiebungsverbot), siehe § 9a Abs. 3 AufenthG.

Konstellation 3: Nationale Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Erwerbstätigkeit oder Ausbildung

Drittstaatsangehörige mit einem Aufenthaltstitel in einem EU-Staat können dort ein Visum beantragen, um in Deutschland eine Beschäftigung, Studium oder Ausbildung aufzunehmen. Es gibt kaum Ausnahmen von der Visumserteilung. In allen Fällen muss der Lebensunterhalt gesichert sein.

  • Studium (§ 16 Abs. 1 AufenthG): Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (visumsfreie Einreise möglich), wenn Krankenversicherung und Zulassung Hochschule vorliegen. Für international Schutzberechtigte (Flüchtlingsanerkennung und subsidiär Geschützte) gelten erschwerte Bedingungen, siehe § 16 Abs. 9 AufenthG.
  • Teilnahme an Sprachkursen und Schulbesuch (§ 16b AufenthG): Ermessensentscheidung.
  • Sonstige Ausbildungen (§ 17 AufenthG): Ermessensentscheidung, wenn BA Zustimmung erteilt hat.
  • Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen (§ 17a AufenthG): Ermessensentscheidung, wenn Bescheid über weitere erforderliche Qualifikationen vorliegt und BA Zustimmung erteilt hat.
  • Beschäftigung (§ 18 AufenthG): Ermessensentscheidung, wenn Tätigkeit in Beschäftigungsverordnung genannt ist (also Personen mit ausländischem anerkannten/vergleichbaren Hochschulabschluss und Berufsabschluss in entsprechender Beschäftigung, Personen im FSJ/BFD oder als Au-Pair und für bestimmte Staatsangehörige* in jeder Tätigkeit), und BA Zustimmung erteilt hat (außer bei FSJ/BFD).
  • Blaue Karte EU (§ 19a AufenthG): Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis (visumsfreie Einreise möglich), wenn Voraussetzungen erfüllt sind. Gilt auch für international Schutzberechtigte.

*Andorra, Australien, Israel, Japan, Kanada, Republik Korea, Monaco, Neuseeland, San Marino, USA. Für Personen aus Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien gilt das wenn sie in den letzten 24 Monaten keine Leistungen nach dem AsylbLG bezogen haben.

Mögliches Fallbeispiel 3:

Ein Eritreer mit einer Flüchtlingsanerkennung in Polen, kann im Ermessen ein Visum für eine Aufenthaltserlaubnis bekommen, wenn sein Lebensunterhalt gesichert ist, er eine Ausbildung aufnehmen will und die Bundesagentur für Arbeit zugestimmt hat.

Konstellation 4: Nationale Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke der Familienzusammenführung

Familienangehörige eines*einer Deutschen können ein Visum zum Familiennachzug beantragen (§ 28 AufenthG). Ein Anspruch besteht für Mitglieder der Kernfamilie: Ehegatten*innen, eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner*innen, minderjährige ledige Kinder und Elternteile minderjähriger lediger Kinder zur Ausübung der Personensorge.

Dabei ist Lebensunterhaltsicherung in der Regel nicht nötig. Bei Ehegatten*innen müssen Deutschkenntnisse auf Niveau A1 nachgewiesen werden, wobei es davon auch Ausnahmen gibt. Familienangehörige außerhalb der Kernfamilie können nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte nachziehen und wenn der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 36 Abs. 2 AufenthG).

Familienangehörige eines*einer Ausländers*in, der/die eine  deutsche Aufenthaltserlaubnis hat, können ein Visum zum Familiennachzug beantragen unter speziellen Voraussetzungen (§ 29 AufenthG >> Nach der Anerkennung des Asylantrags – Familienzusammenführung, Sozialleistungen, weitere Aufenthaltsverfestigung).

Nicht alle Aufenthaltserlaubnisse erlauben einen Familiennachzug. Teilweise gelten spezifische Voraussetzungen, siehe §§ 29-32, 36, 36a AufenthG. Generell gilt:

  • ausreichend Wohnraum muss vorhanden sein
  • Lebensunterhalt muss gesichert sein
  • Passpflicht ist erfüllt und Identität geklärt

In Kombination mit den oben genannten Voraussetzungen besteht u.U. ein Anspruch für Mitglieder der Kernfamilie: Ehegatten*innen und eingetragene gleichgeschlechtliche Lebenspartner*innen (§ 30 AufenthG), minderjährige ledige Kinder (§ 32 AufenthG) und Elternteile minderjähriger lediger Kinder zur Ausübung der Personensorge (§ 36 Abs. 1 AufenthG). Familienangehörige außerhalb der Kernfamilie können nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte nachziehen und wenn der Lebensunterhalt gesichert ist (§ 36 Abs. 2 AufenthG).

Mögliches Fallbeispiel 4:

Eine Pakistanerin mit einer Flüchtlingsanerkennung in Deutschland hat einen Anspruch auf den Nachzug ihres Ehemannes mit dem sie vor Ausreise bereits verheiratet war. Wohnraum und Lebensunterhalt muss sie nicht vorweisen, wenn sie eine fristwahrende Anzeige innerhalb von drei Monaten nach Flüchtlingsanerkennung gestellt hat. 

Konstellation 5: Asylantrag oder isolierter Antrag auf nationales Abschiebeverbot

Drittstaatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis oder einer Anerkennung als international Schutzberechtigte (Flüchtlingsanerkennung und subsidiärer Schutz) in einem EU-Staat können über einen Asylantrag oder einen isolierten Antrag auf nationales Abschiebeverbot einen Aufenthalt in Deutschland bekommen. Dies kann der Fall sein bei prekären Lebenssituationen in einem anderen EU-Staat. Allerdings sind das schwierige Verfahren.

Drittstaatsangehörige mit einer Aufenthaltserlaubnis in einem EU-Staat (z.b. Aufenthaltserlaubnis zum Zweck der Arbeit):

Nach Asylantragsstellung wird i.d.R. ein Dublin-Verfahren eingeleitet um die Zuständigkeit für das Asylverfahren zu klären. Wird die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der die Aufenthaltserlaubnis erteilte festgestellt, wird der Antrag als „unzulässig“ abgelehnt und die Personen erhalten nur noch eingeschränkte Sozialleistungen. Evtl. wird ein nationales Abschiebeverbot festgestellt und eine Aufenthaltserlaubnis kann beantragt werden. Ansonsten muss ein Klageverfahren betrieben werden.

Bei einem isolierten Antrag auf ein nationales Abschiebeverbot, der bei der Ausländerbehörde gestellt werden muss, wird kein Dublin-Verfahren eingeleitet.

 

Drittstaatsangehörige mit einer Anerkennung als international Schutzberechtigte in einem EU-Staat:

Der Asylantrag wird als „unzulässig“ abgelehnt, sobald festgestellt wurde, dass der Mitgliedsstaat, der den internationalen Schutz gewährleistet hat, zuständig ist. Evtl. wird ein nationales Abschiebeverbot festgestellt und eine Aufenthaltserlaubnis kann beantragt werden. Ansonsten muss ein Klageverfahren betrieben werden. Eine Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat kann zeitlich unbegrenzt stattfinden, insofern kein Eilrechtsschutz gerichtlich festgestellt wurde.

Sobald eine Person dieser Gruppe vollziehbar ausreisepflichtig wird, weil der Asylantrag abgelehnt wurde, und keine Duldung nach § 60a AufenthG von der Ausländerbehörde ausgestellt wird, erhält sie keine Sozialleistungen mehr, außer in Härtefällen (§ 1 Abs. 4 AsylbLG). Im Regelfall sollte allerdings eine Duldung erteilt werden und der Leistungsausschluss nicht in Frage kommen.

Mögliches Fallbeispiel 5:

Eine Sudanesin mit subsidiärem Schutz in Bulgarien ist schwer krank und dort von Obdachlosigkeit betroffen. Sie stellt einen Asylantrag, der zwar als unzulässig abgelehnt wird, aber sie bekommt ein nationales Abschiebeverbot aufgrund der Umstände in Bulgarien. 

Konstellation 6: Übergang des Flüchtlingsstatus auf einen anderen Staat

Die Verantwortung für Drittstaatsangehörige mit Flüchtlingsanerkennung in einem EU-Staat kann auf Deutschland übergehen nach Art. 2 EATRR (European Agreement on Transfer of Responsibility for Refugees)*.

Voraussetzung dafür sind ein tatsächlicher und dauernder Aufenthalt mit Zustimmung der Behörden über zwei Jahre, ggf. auch kürzer.

Die Verantwortung kann auch übergehen, wenn die Verpflichtung des Erststaates zur Rücknahme endet (Art. 4 EATRR).

* gilt nicht für alle EU-Staaten: Europarat: Unterschriften und Ratifikationsstand des Vertrags 107

Mögliches Fallbeispiel 6:

Ein Afghane mit Flüchtlingsanerkennung in Spanien lebt seit zwei Jahren mit einer Aufenthaltserlaubnis zum Zwecke des Familiennachzugs in Deutschland. Somit geht die Verantwortung für den Flüchtlingsstatus an Deutschland über.