Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Grundsätzliches

Als „unbegleiteter minderjähriger Flüchtling“ (umF) – auch unter dem Begriff „ unbegleiteter minderjähriger Ausländer“ (umA) bekannt – definiert die EU-Qualifikationsrichtlinie  „einen Minderjährigen, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem Gesetz oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden“ (Art. 2 lit l Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011). Als „unbegleitet“ gelten folglich sowohl Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder Sorgeberechtigten ins Bundesgebiet einreisen als auch jene, die nach der Einreise von ihren Eltern oder Sorgeberechtigten hier für einen längeren Zeitraum allein zurückgelassen werden. „Minderjährig“ sind laut § 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. In bestimmten Zusammenhängen kann jedoch bei abweichendem Volljährigkeitsalter im Herkunftsland auch das 21. Lebensjahr maßgeblich sein (siehe unten, Junge Volljährige).

Die Anzahl von unbegleiteten Minderjährigen, die Asylanträge stellen, sind nach einem zwischenzeitlichen Höchststand von 35.939 im Jahr 2016 deutlich zurückgegangen: 2017 stellten 9.084 unbegleitete Minderjährige Asylanträge, 2018 waren es 4.087, 2019 2.689 und 2020 nur noch 2.232.

UmF gehören zu einer besonders schutzbedürftigen Gruppe (>>Besonders schutzbedürftige Flüchtlinge), daher gelten für sie besondere Zuständigkeiten und Verfahrensweisen.

 

(Vorläufige) Inobhutnahme

Unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche sind nach ihrer Einreise vom jeweils örtlich zuständigen Jugendamt vorläufig in Obhut zu nehmen (§ 42a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Dieses entscheidet dann darüber, ob die Person in seiner Obhut verbleibt oder nach einem bundesweiten Verteilverfahren einem anderen Jugendamt zugewiesen wird. Das Jugendamt hat während der vorläufigen Inobhutnahme für das Wohl des Kindes oder des/der Jugendlichen zu sorgen und dabei den Unterhalt und die gesundheitliche Versorgung sicherzustellen. Schon während der vorläufigen Inobhutnahme ist das Jugendamt dazu verpflichtet, Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl der betroffenen Person notwendig sind. Die Bestellung eines Vormunds für den umF muss das Jugendamt jedoch in dieser Phase noch nicht veranlassen.

Im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme wird ein Verfahren zur Altersfeststellung gemäß § 42f SGB VIII durchgeführt. Dieses erfolgt mittels einer sog. „qualifizierten Inaugenscheinnahme“, in der das äußere Erscheinungsbild und der Entwicklungsstand der Person einem Alter zugeordnet werden. In Zweifelsfällen kann eine ärztliche Untersuchung angeordnet werden, die laut Gesetzesbegründung „mit den schonendsten und soweit möglich zuverlässigsten Methoden“ von medizinischen Fachkräften durchgeführt werden muss. Kommt das Jugendamt zu der Einschätzung, dass der/die Jugendliche bereits volljährig ist, wird die vorläufige Inobhutnahme beendet und die Person in das Aufnahmeverfahren für erwachsene Asylsuchende überführt. Das Altersfeststellungsverfahren ist deshalb problematisch, weil es kein einheitliches Verfahren zur Bestimmung des Alters gibt und keines der verschiedenen Verfahren eine wirklich zuverlässige Aussage über das wahre Alter einer Person zulässt.

Neben der Alterseinschätzung wird ein sog. „Erst-Screening“ durchgeführt, das die folgenden Punkte umfasst:

  • Würde das Wohl des Minderjährigen durch die Durchführung des Verteilverfahrens gefährdet?
  • Halten sich verwandte Personen im Inland oder einem anderen EU-Staat auf?
  • Erfordert das Wohl des/der Minderjährigen eine gemeinsame Inobhutnahme mit Geschwistern oder anderen unbegleiteten geflüchteten Kindern oder Jugendlichen?
  • Schließt der Gesundheitszustand des/der Minderjährigen die Durchführung des Verteilverfahrens innerhalb von 14 Werktagen nach Beginn der vorläufigen Inobhutnahme aus?

Auf Grundlage der erhobenen Informationen entscheidet das Jugendamt, ob es den umF zum Verteilverfahren anmeldet oder ihn vom Verteilverfahren schließt. Wird aus Gründen des Kindeswohls oder der Gesundheit der Ausschluss der Person vom Verteilverfahren erklärt, verbleibt sie in der Obhut des Jugendamts der vorläufigen Inobhutnahme (Erstaufnahmejugendamt). Wenn der/die Minderjährige aus Sicht des Jugendamts verteilt werden kann, wird er/sie bei der Landesverteilstelle angemeldet. Hat Baden-Württemberg zu diesem Zeitpunkt seine Aufnahmequote noch nicht erfüllt, wird der/die Minderjährige einem baden-württembergischen Jugendamt zugeteilt, das seine anteilige Quote noch nicht erfüllt hat. Hat Baden-Württemberg seine Aufnahmequote bereits erfüllt, meldet die Landesverteilstelle das Kind oder den/die Jugendliche/n beim Bundesverwaltungsamt an, das dann die Verteilung in ein anderes Bundesland vornimmt. Das Erstaufnahmejugendamt wird dann über die Zuweisungsentscheidung informiert und setzt sich mit dem nach der Zuweisung zuständigen Jugendamt (Zuweisungsjugendamt) in Verbindung.

Das für das Kind oder den/die Jugendliche/n letztendlich zuständige Jugendamt führt dann die Inobhutnahme gemäß § 42 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII durch. Zentraler Bestandteil der Inobhutnahme ist das Clearing-Verfahren, in dem die individuellen Bedarfe des/der Minderjährigen erhoben werden. Ausgehend davon wird dann ein Hilfeplan erstellt, der u.a. Leistungen der Jugendhilfe umfasst. In der Clearingphase muss unverzüglich ein Vormund bestellt werden, der dem Jugendamt oder einem Vormundschaftsverein angehören. Auch Verwandte oder sonstige Dritte (z.B. Ehrenamtliche) können die Vormundschaft für einen umF beim Familiengericht beantragen. Der Vormund übernimmt die Personen- und Vermögenssorge des umF und ist dessen gesetzlicher Vertreter. Während der Inobhutnahme wird auch die Entscheidung gefällt, ob ein Asylantrag für den/die Minderjährige/n gestellt werden soll (siehe unten, Aufenthaltsrechtliche Situation und Asylverfahren).

2019 wurden 8.647 ausländische Kinder und Jugendliche vom Jugendamt in Obhut genommen (B-umF, Sep. 2020).

Nützliche Links:

Aufenthaltsrechtliche Situation und Asylverfahren

Unbegleitete Minderjährige dürfen laut § 58 Abs. 1a AufenthG nur abgeschoben werden, wenn nachgewiesen ist, dass die Person im Herkunftsland einem Mitglied ihrer Familie, einer/m Personensorgeberechtigten oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben werden kann. So müssen Ausländerbehörde bzw. Verwaltungsgericht sich in jedem Einzelfall die Gewissheit verschaffen, dass die Übergabe des umF nicht nur möglich ist, sondern auch konkret erfolgen wird (vgl. BVerwG 13.06.2013, Az.: 10 C 13/12). Dieser Nachweis kann regelmäßig nur schwer erbracht werden. Daher werden umF vielfach nicht vor dem 18. Geburtstag abgeschoben, eine Sicherheit vor Abschiebung per se gibt es aber für sie nicht. Im Aufenthaltsrecht tritt die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs ein, daher gelten die besonderen Schutzvorschriften in Bezug auf Abschiebung in der Regel nur bis zum 18. Geburtstag.

Welche aufenthalts- oder asylrechtlichen Maßnahmen genau eingeleitet werden, ist von Fall zu Fall individuell von Vormund (bzw. Jugendamt) und geflüchteter Person – ggf. unter Beteiligung von Beratungsstellen oder RechtsanwältInnen – gemeinsam zu entscheiden.

UmF können wie erwachsene Geflüchtete auch einen Asylantrag stellen. 2018 haben ca.ein Drittel der in Obhut genommenen ausländischen Kinder und Jugendlichen dies getan. Seit Juli 2017 sind die Jugendämter verpflichtet, unverzüglich nach der Inobhutnahme einen Asylantrag für das Kind oder den/die Jugendliche/n zu stellen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die Person internationalen Schutz benötigt (§ 42 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII). Wichtig ist zu wissen, dass dies keine pauschale Pflicht zur Asylantragstellung impliziert. Zum einen schließt die Formulierung im Gesetz nur die Schutzformen „Flüchtlingseigenschaft“ und „subsidiärer Schutz“ mit ein, das „nationale Abschiebungsverbot“ ist hier nicht inkludiert. Die Frage, ob ein Asylantrag gestellt werden soll oder nicht, muss zum anderen immer am Kindeswohl ausgerichtet werden, der junge Mensch muss an dem Verfahren zur Entscheidungsfindung beteiligt werden und seine persönliche Situation muss die Asylantragstellung zu diesem Zeitpunkt zulassen. Es muss also weiterhin genau geprüft werden, ob ein Asylantrag gestellt werden soll oder nicht. Da die MitarbeiterInnen der Jugendämter meist keine ExpertInnen im Asylrecht sind, ist eine Beratung meist unabdingbar. Der Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (B-umF) hat eine ausführliche Arbeitshilfe zu diesem Thema erstellt (B-umF, September 2017: Hinweise zur Umsetzung von § 42 Abs. 2 Satz 5 SGB VIII - Verpflichtung der Jugendämter zur Asylantragstellung).

Ein Asylantrag für einen umF kann schriftlich ohne Angabe von Fluchtgründen an die Zentrale des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Nürnberg gerichtet werden, umF müssen also nicht wie erwachsene Geflüchtete zur Asylantragstellung persönlich in einer BAMF-Außenstelle erscheinen (§ 14 AsylG) (>>Das Asylverfahren). In der Regel übernimmt diese Aufgabe der im Rahmen der Inobhutnahme bestellte Vormund. Dieser ist auch während der Anhörung zugegen und darf ergänzend zum Vortrag des/der Jugendlichen zur Anhörung beitragen. Dies entbindet den jungen Menschen jedoch nicht von der Pflicht, sein Fluchtschicksal selbst vorzutragen. Die Anhörung von umF müssen Sonderbeauftragte des BAMF durchführen. Der B-umF hat eine umfangreiche Arbeitshilfe zu diesem Thema entwickelt (B-umF, August 2016: Die Vorbereitung auf die Anhörung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Asylverfahren).

Wird kein Asylantrag gestellt, erhält der/die Minderjährige in der Regel aufgrund der Minderjährigkeit eine Duldung. Frühzeitig sollten die weiteren Perspektiven thematisiert werden, insbesondere, wenn der 18. Geburtstag naht (siehe unten, junge Volljährige).

Nützliche Links:

Sozialrechtliche Situation

UmF sind auch bezüglich der Leistungen beim Jugendamt angedockt. So fallen sie beispielweise nicht unter das AsylbLG, sondern erhalten Kinder- und Jugendhilfeleistungen über das SGB VIII.

Im Rahmen des Clearingverfahrens bei der Inobhutnahme wird ein Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII eingeleitet. Halbjährlich finden Hilfeplangespräche statt, um die individuellen Hilfebedarfe herauszuarbeiten und weiterzuentwickeln sowie ausgehend davon Unterstützungsmöglichkeiten im Rahmen von Hilfen zur Erziehung herauszuarbeiten.

Die Unterbringung der jungen Menschen erfolgt meist stationär in Jugendwohnheimen oder sonstigen betreuten Wohnformen. Auch Pflegefamilien oder sonstige Vollzeitpflegeplätze sind möglich.

Nützlicher Link:

  • Qualifizierung und Netzwerkarbeit in der Kinder- und Jugendhilfe: Servicestelle umF
Junge Volljährige

Der 18. Geburtstag markiert in vielerlei Hinsicht einen Wendepunkt für unbegleitete Minderjährige. Sofern nach dem Heimatrecht die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahrs eintritt, endet die Vormundschaft mit dem 18. Geburtstag. Bei jungen Erwachsenen hingegen, die nach dem Recht ihres Heimatstaates erst mit Vollendung des 21. Lebensjahrs volljährig werden, ist eine Vormundschaft in der Regel bis zum 21. Lebensjahr weiterzuführen bzw. bei Einreise neu einzuleiten (Art. 24 Einführungsgesetz BGB (EGBGB). Dies betrifft z.B. Personen aus Kamerun oder Guinea.

Die Jugendhilfe endet nicht zwangsläufig mit dem 18. Geburtstag. So können gemäß § 41 SGB VIII auch über den 18. Geburtstag hinaus Leistungen nach SGB VIII bezogen werden, nämlich die sog. „Hilfen für junge Volljährige“. Dies kann für Personen bis zum 21. Lebensjahr bewilligt werden, in besonderen Einzelfällen ist darüber hinaus auch eine Verlängerung bis zum 27. Lebensjahr möglich. Diese Leistungen sollen gewährt werden, wenn sie zur Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung aufgrund der individuellen Situation notwendig sind. Der/die Jugendliche muss hierzu – wenn möglich einige Wochen oder Monate vor dem 18. Geburtstag – einen schriftlichen Antrag mit Begründung einreichen. Wird der Antrag abgelehnt, kann es helfen, sich an Ombudschaftsstellen zu wenden oder Rechtsmittel einzulegen. Eine ausführliche Arbeitshilfe mit Tipps zur Beantragung von Hilfen für junge Volljährige ist beim B-umF abzurufen (B-umF, Februar 2017: 18 – und dann? Arbeitshilfe zur Beantragung von Hilfen für junge Volljährige).

Bis zum 18. Geburtstag müssen die Behörden gemäß § 58 Abs. 1a AufenthG vor der Abschiebung eine konkrete Aufnahmemöglichkeit eines/einer Minderjährigen durch Eltern, Sorgeberechtigte oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung nachweisen. Mit der Vollendung des 18. Lebensjahrs entfällt dies und eine Abschiebung ist unter den gleichen Voraussetzungen möglich wie bei sonstigen Erwachsenen. Wenn kein Asylantrag gestellt wurde bzw. ein in der Minderjährigkeit gestellter Asylantrag bereits abgelehnt wurde, muss mit zeitlichem Vorlauf zum 18. Geburtstag überlegt werden, welche aufenthaltsrechtlichen Perspektiven es gibt und wie diese auf den Weg gebracht werden können. In bestimmten Fällen ist eine Asylantragstellung noch vor dem 18. Geburtstag geboten, z.B. wenn ein Dublin-Verfahren droht. Wird erst nach Erreichen der Volljährigkeit ein Asylantrag gestellt, gelten für diesen dieselben Regelungen für einen Asylantrag von sonstigen erwachsenen AsylantragstellerInnen, z.B. bezüglich der Wohnpflicht in einer Erstaufnahmestelle (>>Unterbringung und Wohnen) oder was die Form der Asylantragstellung anbelangt (>>Das Asylverfahren). In einigen Fällen gibt es daneben aufenthaltsrechtliche Perspektiven, z.B. über die sog. „Ausbildungsduldung“, das Bleiberecht für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende nach § 25a AufenthG oder einen Härtefallantrag (>>Nach der Ablehnung des Asylantrags – Weitere Perspektiven). Häufig ist es in dieser Phase nötig, Unterstützung durch eine Beratungsstelle und/oder einen Rechtsbeistand zu suchen.

Nützlicher Link:

Beratungsstellen

Ausländische Personen bis zum 27. Lebensjahr können zur Beratung eine Stelle des Jugendmigrationsdienstes aufsuchen, Adressen sind auf der Homepage der Jugendmigrationsdienste eingestellt.

Für umF-spezifische Fragen können folgende Stellen per E-Mail und Telefon kontaktiert werden:

BumF e.V. - Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge e.V.
Paulsenstr. 55 - 56
12163 Berlin
Tel.: 030 82 09 743 - 0
Fax: 030 82 09 743 – 9
E-Mail: info@b-umf.de

Landesarbeitsgemeinschaft umF
Arbeitsgemeinschaft für Die Eine Welt
Rotebühlstr. 63
70186 Stuttgart

Tel.: 0711 / 60 14 47-12 / -13
Fax: 0711 60144-484


E-Mail: baden-wuerttemberg@b-umf.de