Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg

Initiativen wehren sich gegen Stimmungsmache und Instrumentalisierung

Tübinger und Freiburger Gruppen veröffentlichen Stellungnahmen

Die Vergewaltigung einer jungen Frau in Freiburg durch mehrere Männer hat zwei Wochen nach der Tat bundesweite Aufmerksamkeit erlangt, nachdem bekannt geworden ist, dass mehrere der Tatverdächtigen Personen mit Fluchthintergrund sind. Daraufhin gab es am Montag in Freiburg eine Demonstration der AFD. Der Grüne Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, hat gefordert "dass Polizei und Kommunen die Befugnis erhalten sollen, „gewaltbereite Asylbewerber“ in staatliche Landeseinrichtungen einzuweisen." Sowohl in Freiburg als auch in Tübingen haben sich Initiativen mit Stellungnahmen zum Thema zu Wort gemeldet.

 

Presseerklärung der Flüchtlingshilfen Kreis Tübingen vom  31.10.2018
Netzwerk der ehrenamtlichen Unterstützerkreise
www.fluechtlingshilfen-kreis-tuebingen.de

 

Boris Palmer - populistische Stimmungsmache mit untauglichen Vorschlägen

Wir kritisieren, dass der Tübinger OB Boris Palmer sexualisierte Gewalt immer nur dann öffentlich problematisiert, wenn es sich bei den Tätern um Geflüchtete handelt. Warum skandalisiert er solche Taten nicht in derselben Weise, wenn die Täter weiße Männer oder etwa Würdenträger der katholischen Kirche sind? Warum macht er auch in diesem Fall nur Vorschläge, was mit den an der Tat beteiligten geflüchteten Männern zu geschehen habe?

Die neuerliche Vergewaltigung einer Frau in Freiburg durch mehrere Männer, darunter auch Männer mit Fluchthintergrund, ist ein widerwärtiges Verbrechen, das durch nichts zu entschuldigen oder zu verharmlosen ist. Die an dieser Tat beteiligten Männer gehören allesamt angeklagt. Es sollte jedoch erneut nicht der Eindruck verbreitet werden, als seien solche Taten nur deswegen kritikwürdig, weil daran Geflüchtete beteiligt waren. Wir können es nicht fassen, dass Herr Palmer erneut in das gleiche rassistische Rohr bläst wie diejenigen, die jetzt in Freiburg sofort eine Demo gegen Geflüchtete organisieren. Wenn die Täter weiße Deutsche gewesen wären, gäbe es sicher keine Demo und keine Proteste von rechts. Chemnitz lässt grüßen!

Wir wenden uns hiermit auch gegen die Vorschläge, die Boris Palmer nach dieser Tat erneut in die Diskussion gebracht hat (vgl. Südwest Presse Südwestumschau 29.10.18). Er schlägt vor, dass Polizei und Kommunen die Befugnis erhalten sollen, „gewaltbereite Asylbewerber“ in staatliche Landeseinrichtungen einzuweisen. Dies sind untaugliche Vorschläge.
Wer eine Straftat begeht oder einer Straftat verdächtig ist, soll angeklagt und im Fall der Schuld verurteilt werden, ob Geflüchteter oder Nicht-Geflüchteter. Dafür ist aber nach wie vor die Justiz zuständig und nicht die Polizei oder der Oberbürgermeister. Außerdem ist nicht jeder Täter mit Fluchthintergrund noch ein „Asylbewerber“. Einen anerkannten Flüchtling, der einer Straftat verdächtigt wird, kann man nicht einfach irgendwo kasernieren. Und selbst bei Personen, die sich noch im Asylverfahren befinden, dürfte dies rechtlich nicht machbar sein. Insofern sind die Vorschläge von Herrn Palmer nicht realitätstauglich, sondern erneut bloße rechtspopulistische Stimmungsmache.

Wir begrüßen es, dass auch Herr Palmer einen „Spurwechsel“ fordert für geflüchtete Menschen, die sich vorbildlich verhalten und eine feste Arbeitsstelle haben, aber deren Asylantrag abgelehnt wurde. Wir halten es jedoch für perfide, ein Bleiberecht für gut integrierte Geflüchtete nur dann gutheißen zu wollen, wenn gleichzeitig die „gewaltbereiten“ Flüchtlinge kaserniert werden. Diejenigen, die sich Mühe geben und alles für ihre Integration tun, sollten nicht für das bestraft werden, was sich andere zu Schulden kommen lassen. Wir fordern daher Herrn Palmer auf, dieses Junktim öffentlich zurückzunehmen.

Der Sprecherrat der Flüchtlingshilfen Kreis Tübingen
Wolfgang Bleicher, Werner Hörzer, Andreas Linder, Monika Petersen, Marc Schauecker

Quelle: http://www.fluechtlingshilfen-kreis-tuebingen.de/boris-palmer-populistische-stimmungsmache-mit-untauglichen-vorschl%C3%A4gen

 

Stellungnahme von Initiativen, Organisationen und Aktiven aus Freiburg

Für einen antirassistischen Feminismus

In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober ist eine furchtbare Straftat begangen worden. Ein 18-jährige Frau wurde von mehreren Männern nacheinander vergewaltigt. Die Polizei geht im Moment von 8 Tätern aus.

Sexualisierte Gewalt: Kein Einzelfall in Deutschland
Dieses Schicksal ist kein Einzelschicksal. Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im Jahr 2017 7495 Menschen Opfer von Vergewaltigung und sexueller Nötigung (Bundesinnenministerium PKS 2017). Das sind zwanzig jeden Tag. Vor allem Frauen und queere Menschen sind davon betroffen. Die Dunkelziffern sind in allen Fällen enorm hoch. Sexualisierte Gewalt ist ein Tabu und wird oft verschwiegen.

Die Medienberichterstattung
Überregionale Medien berichten selten von solchen Taten. In den Lokalzeitungen ist primär von „tragischen Einzelschicksalen“ die Rede. Dabei verschwinden strukturelle Ursachen oft im Hintergrund. Dadurch werden Strukturen nicht greifbar und Gewalt an Frauen* bleibt bestehen. Seit der Kölner Silvesternacht ist das Thema „Gewalt an Frauen*“ jedoch immer mehr in den großen Zeitungen und Nachrichtensendungen präsent. Ausschlaggebend für die unverhältnismäßig hohe mediale Aufmerksamkeit scheint die nationale Herkunft der Täter*innen zu sein. So auch jetzt: Die Polizei meldete bereits am 17.10 eine Gruppenvergewaltigung. Lokale Medien berichteten. Erst als neun Tage später Menschen mit syrischer Herkunft in U-Haft genommen wurden, wird der Vorfall bundesweit diskutiert.

Vereinnahmung und Umdeutung von Rechts
Diese Tatsache bietet Nährboden für Rechte Rhetorik. Die nationale Herkunft wird immer mehr mit der Wahrscheinlichkeit von Gewalttaten verknüpft. Ausländer*innen werden pauschal als gefährlich und gewaltbereit inszeniert und pathologisiert. Die einzige Lösung zum „Schutz der deutschen Frau*“ wäre somit eine Schließung der staatlichen Außengrenzen und die schnellstmögliche Abschiebung von Ausländer*innen, so wie es Parteimitglieder*innen von der AfD jetzt wieder fordern.

Gewalt an Frauen weiterhin ein Problem!
Doch ist damit das vielschichtige Problem von Gewalt an Frauen* gelöst? Nein! Es handelt sich um ein komplexes Problem, das über einzelne Straftaten hinausgeht! Die Vereinnahmung und Umdeutung durch die Neue Rechte gibt einfache und bequeme Lösungen für ein viel weiter gehendes Problem. Um Gewalt an Frauen* zu begegnen, bedarf es einer umfassenden Diskussion - ohne kulturellen Rassismus! Beziehen wir als freiheitliche Gesellschaft Position. Diskutieren wir das Problem mit seinen Fallstricken und geben wir Rechten Ideologien keinen Raum. Denn es geht um Frauen*rechte und ein Ende von Gewalt.

Erstunterzeichnende
Aktion Bleiberecht Freiburg
Birgit Heidtke, Freiburg (Feministische Geschichtswerkstatt)
Irene Vogel, Stadträtin Unabhängige Frauen Freiburg
Feministisches Zentrum Freiburg e.V.
Freiburger Forum aktiv gegen Ausgrenzung
iz3w e.V.
Linke Liste - Solidarische Stadt Freiburg
Our Voice Freiburg
Rasthaus Freiburg
realitätenwerkstatt - Feministische Gruppe Freiburg
RoR-Frei (Rhythms of Resistance Freiburg)
SAGA (Südbadisches Aktionsbündnis Gegen Abschiebungen)
Seebrücke Freiburg
SPD-Freiburg
SPD-Gemeinderatsfraktion Freiburg
Tritta e.V. - Verein für feministische Mädchenarbeit

Quelle: https://www.aktionbleiberecht.de/?p=15096

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