Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg

25 Jahre UN-Kinderrechtskonvention: Kinderrechte für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge umsetzen

 

Stuttgart 17.11.2015    Allein 517 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind 2013 nach Baden-Württemberg eingereist. UMF sind Kinder und Jugendliche, die vor Erreichen der Volljährigkeit ohne Sorgeberechtigte einreisen. Laut UN-Kinderrechtskonvention haben sie ein Recht auf kind- und jugendgemäße Behandlung einschließlich des Rechtes auf Schutz, Aufnahme, (Aus-)Bildung und Persönlichkeitsentwicklung. Trotzdem werden sie gegenüber ihren Altersgenossen/innen weiterhin benachteiligt. Zusätzlich drohen sich vor dem Hintergrund wachsender Flüchtlingszahlen die langjährig erarbeiteten Standards im Umgang mit diesen Kindern und jungen Menschen zu verschlechtern. Deshalb haben sich der Paritätische Wohlfahrtsverband  Baden-Württemberg, der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg, der Deutsche Kinderschutzbund Baden-Württemberg, und die AGDW e.V. zu einem Bündnis zusammengeschlossen, um initiativ für die Verbesserung der Situation unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge im Land einzutreten und Lösungskonzepte anzubieten.

„Wenn wir angelehnt an die UN-Kinderrechtskonvention Kinderrechte ernsthaft umsetzen wollen, müssen Jugendhilfe-Standards für UMF aufgestellt werden, ausländerrechtliche Anforderung auf ein Mindestmaß reduziert werden und die Kreise finanziell entlastet werden. Die Landesregierung und die Kreise vor Ort haben rechtliche Möglichkeiten und Ermessensspielräume dahin zu wirken“, betonte Marlene Seckler, Fachreferentin für Migration beim Paritätischen Wohlfahrtsverband  Baden-Württemberg.

Der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg lehnt die von Bayern initiierte Gesetzesinitiative zur Verteilung von UMF auf die Bundesländer ab. Auch Baden-Württemberg plant auf Druck der kommunalen Spitzenverbände bereits kurz nach Verabschiedung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes eine Änderung der Durchführungsverordnung, mit der der Vorrang des Kindeswohls durch Inobhutnahme am tatsächlichen Aufenthaltsort wieder rückgängig gemacht und zu einer Quotenverteilung auf die Stadt- und Landkreise übergegangen werden soll. „Beide Vorhaben setzen aus unserer Sicht ordnungspolitische, ausländerrechtliche und finanzielle Erwägungen über das Kindeswohl. Die neue Regelung in Baden-Württemberg wird dazu führen, dass die Kreise, die UMF in Obhut nehmen, zur Stellung eines Asylantrags raten oder drängen werden, damit der UMF möglichst wegverteilt wird. Wir dürfen nicht zulassen, dass bei uns die UMF nach dem Gießkannenprinzip verteilt werden“, forderte Andreas Linder, Geschäftsführer, Flüchtlingsrat Baden-Württemberg.

Der Vormundschaftsverein der AGDW e.V. unterstützt speziell UMF im Stuttgarter Raum und begleitet sie auf dem rechtlichen, schulischen und beruflichen Weg zu begleiten. Durch die intensive Begleitung erfahren die Vormünder, ob diese jungen Menschen, die sehr schwierige Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht hatten traumatisiert sind und Hilfe brauchen. Sobald ein entsprechender Verdacht besteht, suchen sie Unterstützung bei den Beratungsstellen, die auf Traumata spezialisiert sind.

„Zwar favorisiert der Gesetzgeber private Vormünder/innen und Vereinsvormünder/innen vor den Amtsvormundschaften, da er sich durch diese eine intensivere und stringentere Begleitung der Kinder und Jugendlichen verspricht. De facto aber werden die meisten Vormundschaften in Baden-Württemberg durch Amtsvormünder/innen durchgeführt. Amtsvormünder/innen haben bis zu fünfzig Mündel in ihrer Verantwortung, was zu einer enormen Überlastung führt. Deshalb fordert die AGBW das Land Baden-Württemberg und die Kreise auf, künftig Vereinsvormundschaften aktiv vorzuschlagen und ideell wie monetär zu unterstützen“, erklärte Jama Maqsudi, stellvertretender Geschäftsführer der  AGDW  e.V..

„Die Gruppe der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen, die nach Baden-Württemberg einreisen, sind umso schutzbedürftiger, weil sie keine Lobby haben. Gerade in Zeiten steigender Flüchtlingszahlen müssen wir verantwortlich darauf achten, dass sie nicht zwischen den ordnungspolitischen Mühlen des Ausländerrechts zermalmt werden. Kein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling darf uns verloren gehen, weil wir Kinderrechte unberücksichtigt lassen. Deshalb fordert der Deutsche Kinderschutzbund Baden-Württemberg, dass das Kindeswohl in Deutschland und in Baden-Württemberg endlich vorrangig betrachtet wird.  Dies gilt vor allem für Kinder und Jugendliche, die von der Familie getrennt leben und für Flüchtlingskinder. Wir fordern daher gleiche Teilhabe- und Bildungschancen wie für alle anderen Kinder! Wir fordern realistische Bildungs- und Ausbildungsperspektiven. Um diese umsetzen zu können fordern wir eine Aufenthaltserlaubnis für alle unbegleiteten Minderjährigen“, sagte  Uwe Bodmer, im Vorstand des Deutschen Kinderschutzbundes Baden-Württemberg
Da sich in der Praxis  kaum etwas geändert hat und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge weiterhin wie Ausländer/innen und nicht vorrangig wie Kinder behandelt werden, fordern der Paritätische Baden-Württemberg, der Deutsche Kinderschutzbund Baden-Württemberg, der Flüchtlingsrat Baden-Württemberg und die Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt e.V. aus Anlass des 25. Jubiläums der UN-Kinderrechtskonvention das Land Baden-Württemberg auf, die dem Land zur Verfügung stehenden landesrechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen und  UMF in Baden-Württemberg zu ihren Kinderrechten zu verhelfen, sowie auf Bundesebene im Bundesrat auf die Umsetzung der im Koalitionsvertrag formulierten Anpassung der Gesetze zu drängen.

Hintergrundinformationen:

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) sind Kinder und Jugendliche, die vor Erreichen der Volljährigkeit ohne Sorgeberechtigte einreisen. Laut UN-Kinderrechtskonvention haben sie ein Recht auf kind- und jugendgemäße Behandlung einschließlich des Rechtes auf Schutz, Aufnahme, (Aus-)Bildung und Persönlichkeitsentwicklung.
Der Vormundschaftsverein der AGDW e.V. engagiert sich dafür, UMF im Stuttgarter Raum in ihrer neuen Umgebung zu unterstützen und sie auf dem rechtlichen, schulischen und beruflichen Weg zu begleiten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Vormundschaftsbüro verfügen über umfassende Kenntnisse, sind prädestiniert, über ausländerrechtliche und arbeitsrechtliche Hürden aufzuklären und um die Jugendlichen während ihrer Entwicklungsphasen zur Selbstständigkeit qualifiziert zu begleiten. Durch die intensive Begleitung erfahren die Vormünder, ob diese jungen Menschen, die sehr schwierige Erlebnisse im Heimatland und auf der Flucht hatten traumatisiert sind und Hilfe brauchen. wenn ein entsprechender Verdacht besteht, suchen sie Unterstützung bei den Beratungsstellen, die auf Traumata spezialisiert sind. Dieses Modell ist einzigartig in Baden-Württemberg.

Der Deutsche Kinderschutzbund Baden-Württemberg setzt sich für die Rechte aller Kinder und Jugendlichen auf
gewaltfreies Aufwachsen und Beteiligung ein. Wir stärken Kinder bei der Entfaltung ihrer Fähigkeiten. Wir mischen uns zugunsten der Kinder ein - in der Bundes- und Landesgesetzgebung, bei Planungen und Beschlüssen in unseren
Städten und Gemeinden.

Weitere Infos zur Initiative „Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge" unter www.paritaet-bw.de.

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