Flüchtlingsarbeit in Baden-Württemberg

Nicht die ganze Wahrheit

Zu den Äußerungen von Justizminister Wolf über Flüchtlingszahlen und erhöhter Haftbelegung

Ein Kommentar von Seán McGinley, Geschäftsführer des Flüchtlingsrates Baden-Württemberg

„Gedränge hinter Gittern“ - Baden-Württembergs Gefängnisse sind überfüllt – wegen der Flüchtlinge. So der Tenor von Justizminister Guido Wolf gegenüber der Presse. Es stimmt, dass die in den Jahren zuvor leicht rückläufigen Belegungszahlen in den Gefängnissen des Landes seit dem vergangenen Jahr angestiegen sind, und auch der Anteil der Gefangenen ohne deutsche Staatsangehörigkeit – auch wenn eine Aufschlüsselung der Gefangenen nach Aufenthaltsstatus nicht vom Justizministerium zu erhalten war.
Auffällig ist, dass gerade die Anzahl der Untersuchungshäftlinge angestiegen ist. Asylsuchende – gerade die, die in Erstaufnahmeeinrichtungen sind, werden auch bei kleineren Delikten wesentlich häufiger in Untersuchungshaft genommen als Personen mit festem Aufenthalt, weil der Haftgrund der Fluchtgefahr häufiger greift.
Durch diese Zahlen fühlen sich bestimmte Kreise bestärkt in ihrer ideologischen Überzeugung, dass geflüchtete Menschen besonders stark zur Kriminalität neigen und eine Bedrohung für die Sicherheit darstellen. Die schlichte Darstellung „Mehr Ausländer im Gefängnis seitdem die Flüchtlinge da sind“ bestärkt solche Ressentiments – denn obwohl sie wahr ist, ist sie eben nicht die ganze Wahrheit. Zur ganzen Wahrheit gehört, dass bei einem Anstieg der Gesamtbevölkerungszahl höhere absolute Zahlen an Straftaten und Inhaftierungen nicht verwunderlich sind, und dass eine Gruppe (in diesem Fall Menschen ohne deutschen Pass / Geflüchtete), deren Bevölkerungsanteil größer geworden ist, auch in höheren absoluten Zahlen in der Gefangenenstatistik auftauchen wird.
Und weil die einschlägigen Kreise sicherlich versuchen werden, auch diese Ausführungen in ihr ideologisches Muster reinzupressen, sei in aller Deutlichkeit gesagt: Es geht nicht darum, Straftaten zu verharmlosen, zu relativieren oder zu entschuldigen. In einem Rechtsstaat gehört es dazu, dass jeder Mensch sich für gesetzeswidriges Verhalten verantworten muss. Kritikwürdig sind allerdings Äußerungen, die den Eindruck erwecken können, dass eine bestimmte Bevölkerungsgruppe aufgrund von Herkunft, Abstammung oder Aufenthaltsstatus besonders ausgeprägte kriminelle Neigungen hat, nur weil sie eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit hat, inhaftiert zu werden als andere, denen genau die gleiche Tat vorgeworfen wird.
Die Obsession mit einer vermeintlichen Sonderproblematik „Ausländerkriminalität“ gehört schon seit Jahrzehnten zu den Klassikern im Repertoire konservativer bis rechtspopulistischer Stimmungsmache und liefert die ideologische Grundlage für zahlreiche Verschärfungen des Ausländerrechts, für rassistische verdachtsunabhängige Polizeikontrollen und für vielfältige Formen rassistischer Diskriminierung, die Menschen mit Migrationshintergrund Tag für Tag erleben. Natürlich spricht der Minister keinen solchen Generalverdacht gegen Geflüchtete aus, doch auch er wird sicherlich wissen, dass Ressentiments dieser Art im Raum stehen und nur bestärkt werden, wenn Zahlen wie diese ohne angemessenen Kontext in die Welt gesetzt werden. Seine Äußerungen sind mindestens nicht besonders gut bedacht – auf jeden Fall tun diese unvollständigen Wahrheiten gerade in dieser Zeit der Gesellschaft nicht gut.

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