Abschiebung und selbstbestimmte Rückkehr ins Herkunftsland

Ist eine Person nach § 50 Abs. 1 AufenthG ausreisepflichtig, weil sie keinen erforderlichen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt und sind alle Möglichkeiten ein Aufenthaltsrecht in Deutschland zu erhalten, ausgeschöpft, steht der/die Geflüchtete vor der Entscheidung, selbstbestimmt in den Staat, dessen Staatsangehörigkeit er/sie besitzt, zurückzugehen („freiwillige Ausreise“), auf eine Abschiebung zu warten oder in der Illegalität zu leben.

Die Ausreisepflicht wird in folgenden Konstellationen bei abgelehnten Asylsuchenden vollziehbar: 1) Wenn gegen einen ablehnenden Bescheid des BAMF keine bzw. nicht fristgerecht Rechtsmittel eingelegt wurden und die Ausreisefrist abgelaufen ist. 2) Wenn der Eilantrag auf aufschiebende Wirkung vom zuständigen Verwaltungsgericht abgelehnt wurde. 3) Wenn eine Klage mit aufschiebender Wirkung vom zuständigen Verwaltungsgericht abgelehnt wurde und keine weiteren Rechtsmittel mehr möglich sind. 4) Wenn kein Anspruch auf einen anderen Aufenthaltstitel oder eine Ausbildungsduldung geltend gemacht wurde. Die Ausreisepflicht ist noch nicht vollziehbar, solange die Frist für die „freiwillige Ausreise“ noch nicht abgelaufen ist.

Selbstbestimmte Rückkehr

Zeitpunkt der selbstbestimmten Rückkehr

Bei abgelehnten Asylsuchenden ergeht im Regelfall mit der asylrechtlichen Entscheidung des BAMF eine Ausreiseaufforderung zusammen mit einer Abschiebungsandrohung – für den Fall, dass keine selbstbestimmte Rückkehr erfolgt. Da der selbstbestimmten Rückkehr Vorrang gegenüber der Abschiebung zu gewähren ist, enthält die Ausreiseaufforderung eine Frist innerhalb derer ausgereist werden soll. Die Ausreisefrist beträgt bei der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ oder „unzulässig“ eine Woche, bei der Ablehnung als „unbegründet“ 30 Tage (>>Nach der Ablehnung – Klage und Eilantrag). Innerhalb dieser Zeit muss eine ausreisebereite Person gegenüber der Ausländerbehörde die Bereitschaft zur selbstbestimmten Rückkehr signalisieren, wenn er/sie das wünscht. In der Regel sollte die Ausreise während der gesetzten Ausreisefrist erfolgen. Ggf. kann mit der Ausländerbehörde ein davon abweichender Termin festgesetzt werden, z. B. wenn Kinder kurz vor Vollendung des Schuljahres stehen (§ 59 Abs. 1 Satz 4 AufenthG). Nach dem Ablauf der Ausreisefrist können abgelehnte Asylsuchenden abgeschoben werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass automatisch eine Abschiebung erfolgt. Eine selbstbestimmte Rückkehr kann auch nach dem Ablauf der Ausreisefrist noch in Frage kommen, dies ist am besten mit einer Rückkehrberatung zu bewerkstelligen.

 

Entscheidung zur selbstbestimmten Rückkehr

Die selbstbestimmte Rückkehr kann gegenüber der Abschiebung Vorteile haben:

  • Die traumatisierenden Aspekte einer Abschiebung (unangekündigt, meist nachts, begleitet von PolizistInnen, u.U. Fesselung) können vermieden werden.
  • Im Gegensatz zur Abschiebung ist eine selbstbestimmte Rückkehr in engen Grenzen planbar. So können noch letzte Besorgungen gemacht, nahestehende Personen verabschiedet und evtl. auch Spenden/Fördermittel für den Start im Zielland entgegengenommen werden.
  • Für viele Länder gibt es Reisekostenbeihilfen und manchmal weitere Unterstützungsleistungen, z. B. mit Geldern der International Organization of Migration (IOM).
  • Durch eine selbstbestimmten Rückkehr entgeht man dem Einreise- und Aufenthaltsverbot (sog. „Wiedereinreisesperre“) gemäß § 11 AufenthG, das bei einer Abschiebung automatisch entsteht. Dies kann dann besonders sinnvoll sein, wenn es die Möglichkeit gibt mit einem Visum für eine alternative Aufenthaltserlaubnis wiedereinzureisen (z.B. Ehegattennachzug oder zum Zweck der Beschäftigung). Zuvor sollte eine Vorabzustimmung der Ausländerbehörde geholt werden, sodass das Visumsverfahren beschleunigt wird. Nicht immer gelingt eine Aus- und Wiedereinreise, vor allem wenn es keinen rechtlichen Anspruch auf eine Visumserteilung gibt und ggf. Ausweisungsinteressen bestehen. Deshalb ist eine ausführliche Beratung vor der Ausreise unverzichtbar.
  • Personen aus sog. „sicheren Herkunftsstaaten“, deren Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt wurde, erhalten immer, auch im Falle einer selbstbestimmten Rückkehr, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 7 AufenthG. Dieses beträgt in der Regel bis zu zwölf Monate und wird bei Ausreise über den Landweg von der deutschen Botschaft im Zielland eingetragen.

Ob eine selbstbestimmte Rückkehr erfolgt, ist die Entscheidung der betroffenen Personen. Dabei ist es wichtig, sich nicht voreilig dazu drängen zu lassen, sondern eine informierte Entscheidung zu treffen. Vor der Entscheidung ist es daher empfehlenswert, eine Rückkehrberatung von einem unabhängigen Träger (bspw. einem Wohlfahrtsverband) in Anspruch zu nehmen; Kontaktdaten finden sich auf der BAMF-Homepage.

 

Förderprogramme

Nach der Entscheidung für eine selbstbestimmte Rückkehr wird im Rahmen der Rückkehrberatung in der Regel auch finanzielle Unterstützung beantragt. Es gibt verschiedene Förderprogramme, deren Art und Höhe von Herkunftsland zu Herkunftsland unterschiedlich ist. Am bekanntesten ist das REAG-GARP-Programm der IOM, das Reisekosten, Reisebeihilfen, medizinische Zusatzkosten und Starthilfen umfasst (Returning from Germany).

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Abschiebung

Voraussetzungen einer Abschiebung

Insofern eine Person vollziehbar ausreisepflichtig ist (siehe Einleitung oben), kann theoretisch eine Abschiebung jederzeit erfolgen. In der Realität stehen einer Abschiebung oft Abschiebungshindernisse entgegen, die zur Ausstellung einer Duldung führen. Aber eine noch gültige Duldung ist nicht per se Grund, eine beabsichtigte Abschiebung nicht durchzuführen. Denn bei Wegfall des Abschiebehindernisses ist eine Abschiebung wieder möglich, auch wenn das auf der Duldung vermerkte Gültigkeitsdatum noch nicht erreicht ist (>>Nach der Ablehnung des Asylantrags – Weitere Perspektiven). Neu auftretende Abschiebungshindernisse sind unbedingt sofort dem Regierungspräsidium Karlsruhe und der Ausländerbehörde — und in Dublin-Fällen auch dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) — mitzuteilen (z.B. Krankenhausaufenthalt). Denn vor der konkreten Ausführung der Abschiebung sollen die Ausländerbehörden prüfen, ob es Abschiebungshindernisse gibt. Ist dies nicht der Fall, wird ein Abschiebetermin festgesetzt.

 

Durchführung von Abschiebungen

Für den Vollzug der Abschiebung sind die Bundesländer zuständig. In Baden-Württemberg werden Abschiebungen vom Regierungspräsidium Karlsruhe (Referat 87) in Auftrag gegeben. Bei Dublin-Abschiebungen ist auch das BAMF involviert. Abschiebungen dürfen gemäß § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG nicht angekündigt werden. Eine Ausnahme hiervon besteht nur für Personen, die über ein Jahr geduldet sind und deren Abschiebung nicht aus eigenem Verschulden (z.B. wegen Identitätstäuschung) ausgesetzt ist (§ 60a Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG). Diesen Personen wird schriftlich ein Datum mitgeteilt ab wann eine Abschiebung erfolgen wird.

Einige Ausreisepflichtige werden einzeln abgeschoben, andere im Rahmen von sogenannten Sammelabschiebungen. Auch können die Abschiebungen in Begleitung von PolizistInnen oder von privatem Sicherheitspersonal stattfinden. Abschiebungen können an verschiedenen Orten vollzogen werden. Z.B. der/die Betroffene kann von der Polizei zu Hause abgeholt und direkt in den sog. Zielstaat abgeschoben werden. Außerdem können Abschiebungen auch aus einer Schule, vom Arbeitsplatz oder aus sonstigen Bildungseinrichtungen heraus erfolgen. Manchmal werden Geflüchtete auch bei Behördenterminen von der Polizei abgeführt. Daher empfiehlt es sich, dass Geflüchtete mit hohem Abschiebungsrisiko bei Behördenterminen von anderen Personen (z.B. ehrenamtlichen UnterstützerInnen) begleitet werden und den Anwalt/die Anwältin der betroffenen Person über den Termin zu informieren. Häufig erfolgen Festnahmen bei Behördenterminen ohne vorherige Einholung eines Haftbeschlusses, was rechtswidrig ist und wogegen Beschwerde eingereicht werden sollte.

Sind Personen bei einem Abschiebungsversuch nicht auffindbar, besteht u. U. die Gefahr, dass ihre Abwesenheit als Untertauchen gewertet wird. In Dublin-Fällen kann sich dadurch die Überstellungsfrist von sechs auf 18 Monate verlängern (>>Das Dublin-Verfahren). Zudem kann die Person bei angenommenem Untertauchen zur Fahndung ausgeschrieben und bei späterem Aufgreifen in Abschiebungshaft genommen werden (siehe unten). Außerdem können Sozialleistungen gekürzt und Arbeitsverbote erlassen werden.

Die Abholung der ausreisepflichtigen Personen wird meistens in der Nacht durchgeführt. Das Betreten der Wohnung kann ohne richterlichen Beschluss erfolgen, wenn es die Durchführung der Abschiebung erfordert und Tatsachen vorliegen, dass sich die zu abschiebende Person dort aufhält (§ 58 Abs. 5 AufenthG). Inwieweit diese gesetzliche Regelung verfassungsrechtlich ist, ist fraglich, weswegen in solchen Fällen ein Anwalt/eine Anwältin herbeigezogen werden sollte (Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin e.V.und Wissenschaftliche Dienste des Bundestags).

Das Durchsuchen (irgend-) einer Wohnung ist nicht ohne weiteres ohne richterlichen Beschluss möglich, außer es besteht Gefahr im Verzug. Nur weil die abzuschiebende Person nicht aufgefunden wurde, darf die Wohnung nicht einfach durchsucht werden (§ 58 Abs. 8 AufenthG). Wichtig: Sollte es zu einer Durchsuchung der Wohnräume (einer Unterkunft, einer Privatwohnung, derjenigen des Geflüchteten oder einer dritten Person) kommen, muss der Grund genannt werden und ein Protokoll verfasst und auf Wunsch ausgehändigt werden (§ 58 Abs. 9 AufenthG). Zur Nachtzeit gelten verschärfte Bedingungen.

Meist wird den Betroffenen wenig Zeit eingeräumt, um die wichtigsten Sachen einzupacken. Daher empfiehlt es sich, bei einer drohenden Abschiebung einen „Notfallkoffer“ vorzubereiten, inklusive wichtiger Telefonnummern.

 

Rechtsfolgen einer Abschiebung

Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot (sog. „Wiedereinreisesperre“) gemäß § 11 AufenthG muss angeordnet und befristet werden (§ 9 AAZuVO BW). Die Befristung ist unterschiedlich lang. Bei Ablehnungen und Ausreiseaufforderung ins Herkunftsland beträgt sie meistens 30 Monate, bei „unzulässig“-Ablehnungen drei bis zwölf Monate, bei Personen aus sicheren Herkunftsländern zwölf Monate und darf in der Regel fünf Jahre nicht überschreiten. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird erst nach vollzogener Abschiebung wirksam bzw. bei der Ausreise (letzteres gilt insbesondere von Personen aus sicheren Herkunftsländern). Die Länge der Wiedereinreisesperre ist im BAMF-Bescheid angegeben und wird bei der Abschiebung in behördlichen Datenbanken vermerkt (INPOL, SIS II, AZR). Die Wiedereinreisesperre kann nachträglich unter bestimmten Umständen aufgehoben oder ihre Befristung per Antrag bei der zuvor zuständigen Ausländerbehörde verkürzt werden. Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann eine zeitlich begrenzte Einreisegenehmigung erteilt werden, wenn zwingende Gründe die Anwesenheit des/der Betroffenen erfordern (z.B. ein Gerichtstermin) oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde (z.B. familiäre Gründe) und die Rückkehrbereitschaft gesichert erscheint. Auch kann vor Ablauf der Wiedereinreisesperre ein Visumsverfahren zur legalen Wiedereinreise begonnen werden (z.B. Vereinbarung eines Termins bei der deutschen Auslandsvertretung im Herkunftsland, insoweit die Voraussetzungen für die Erteilung eines nationalen Visums vorliegen, beispielsweise zum Zwecke einer Ausbildung). Personen mit einer Wiedereinreisesperre müssen bei versuchter Einreise mit einer Zurückweisung an der Grenze rechnen. (Versuchte) Einreise und Aufenthalt trotz Wiedereinreisesperre stellen Straftaten dar (§ 95 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG).

Die Kosten der Abschiebung sind grundsätzlich vom Ausreisepflichtigen zu erstatten. Das bedeutet, dass die die Abschiebung ausführenden Personen vom Ausreisepflichtigen beigeführtes Bargeld einbehalten dürfen. Hier kann der/die Geflüchtete eine Quittung verlangen. Zur Kostenerstattung können die Personen auch bei einer erneuten Einreise ins Bundesgebiet herangezogen werden (§ 66, § 67 AufenthG).

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Abschiebungshaft

Es gibt verschiedene Haftarten, nach denen ausreisepflichtige Geflüchtete festgenommen werden dürfen (strenggenommen fallen nicht alle unter Abschiebungshaft): die Sicherungs-, die Vorbereitungs- und die Mitwirkungshaft sowie den vorläufigen Gewahrsam und den Ausreisegewahrsam. Personen, die nicht in ihr Heimatland, sondern nach der Dublin-Verordnung in ein anderes europäisches Land abgeschoben werden sollen, können in „Dublin-Haft“ genommen werden nach § 2 Abs. 14 AufenthG. Mit Strafhaft haben alle diese Haftarten nichts zu tun. Es handelt sich also nicht um Sanktionen für begangenes Unrecht.

Sicherungshaft: In der Praxis geht es in der Regel um die sogenannte Sicherungshaft, also die Haft zur Sicherung einer Abschiebung (§ 62 Abs. 3 AufenthG). Die Voraussetzungen dafür wurden mit dem „Geordnete Rückkehr Gesetz“ (August 2019) erheblich erweitert. Ein Haftgrund liegt bei Fluchtgefahr vor, wenn eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG (für Gefährder) ergangen ist oder wenn eine Person wegen einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. In § 62 Abs. 3a und 3b AufenthG wird der vage Begriff „Fluchtgefahr“ anhand von Beispielen konkretisiert. Wird Fluchtgefahr aufgrund von § 62 Abs. 3a AufenthG  vermutet, muss der/die Betroffene dies widerlegen (z.B. angebliche vergangene/gegenwärtige Identitätstäuschungen oder nicht gemeldete Wohnortswechsel schlüssig aufklären). Dies dürfte sich als schwierig erweisen und deshalb ist anwaltschaftliche Unterstützung dringend notwendig. Normalerweise darf die Sicherungshaft nur angeordnet werden, wenn die Abschiebung innerhalb von drei Monaten durchführbar ist. Maximal kann sie sechs Monate betragen und in Ausnahmen um zwölf Monate verlängert werden.

Vorbereitungshaft: Diese Art der Abschiebungshaft betrifft nur Personen, die ausgewiesen worden sind wegen z.B. Straftaten (§ 62 Abs. 2 AufenthG). Dabei darf man die Ausweisung nicht mit der Abschiebung verwechseln. Eine Ausweisung bekommen Personen, die bestimmte Straftaten begangen haben bzw. eine Gefahr darstellen. Dadurch können selbst Personen mit einem Aufenthaltsrecht „ausreisepflichtig gemacht“ werden, sodass eine Abschiebung dann erfolgen darf (siehe Informationsverbund Asyl & Migration).

Vorläufiger Gewahrsam: In einigen Fällen kann eine Person auch ohne eine richterliche Anordnung in „vorläufigen Gewahrsam“ genommen werden; über die anschließende Sicherungshaft muss dann aber unverzüglich ein/e RichterIn entscheiden (§ 62 Abs. 5 AufenthG).

Mitwirkungshaft: Eine Person kann auf richterliche Anordnung für einen persönlichen Termin bei Vertretern seines/ihres (vermeintlichen) Herkunftslandes (z.B. Vorsprachen bei Botschaften oder sog. Identifizierungsdelegationen) oder für eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Reisefähigkeit für max. 14 Tage in Haft genommen werden. Zulässig ist das nur, wenn sie zuvor unentschuldigt einer solchen Anordnung ferngeblieben ist (§ 62 Abs. 6 AufenthG). Diese Art der Haft ist umstritten, vor dem Hintergrund, dass Abschiebungshaft – wie der Name schon sagt – die unmittelbare Abschiebung sichern soll (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 2007, Az. 2 BvR 2106/05). Wer von ihr betroffen ist, sollte deren Rechtmäßigkeit deshalb mithilfe eines Anwalts/einer Anwältin überprüfen lassen.

Ausreisegewahrsam: Ausreisegewahrsam kann für längstens zehn Tage richterlich angeordnet werden, um die Durchführung von Abschiebungen in diesem Zeitraum bei Personen sicherzustellen, deren Ausreisefrist abgelaufen ist und deren vergangenes Verhalten darauf schließen lässt, dass sie sich einer Abschiebung entziehen wollen. Identitätstäuschungen, die Verletzung von Mitwirkungspflichten, die Verurteilung wegen Straftaten oder die Überschreitung der Ausreisefrist um 30 Tage können ggf. einen solchen Verdacht begründen. Diese Verdachtsmomente sind allerdings vage und bedingen keinen Automatismus, sondern sind stets von den konkreten Umständen des Einzelfalls abhängig. Auch hier sollte deshalb unbedingt ein/e Anwalt/Anwältin eingeschaltet werden, um zu überprüfen, ob das Verhalten tatsächlich den Schluss auf eine Entziehungsabsicht rechtfertigt. Ausreisegewahrsam kann u.U. auch ohne richterliche Anordnung erfolgen; die Person muss dann aber unverzüglich einem/er RichterIn vorgeführt werden, der/die die Entscheidung über den Ausreisegewahrsam trifft (§ 62b AufenthG).

 

Durchführung der Abschiebungshaft

Anordnung und Durchführung von Abschiebungshaft sind Ländersache. Daraus resultiert ein gewisser Spielraum bei der Ausgestaltung der Abschiebungshaftbedingungen, die in Baden-Württemberg im Abschiebungshaftvollzugsgesetz geregelt sind.

In Baden-Württemberg gibt es eine Abschiebungshaftanstalt in Pforzheim mit einer Kapazität von derzeit 51 Plätzen, welche sukzessive auf 80 Haftplätze aufgestockt werden soll. In der Haftanstalt werden nur alleinstehende Männer untergebracht. Frauen kommen in die Abschiebungshafteinrichtung ins rheinland-pfälzische Ingelheim. Seit dem „Geordnete Rückkehr Gesetz“ (August 2019) kann Abschiebungshaft bis zum Jahr 2022 in jedem Gefängnis vollzogen werden, jedoch getrennt von Strafgefangenen (§ 62a AufenthG). Es spricht sehr viel dafür, dass die Unterbringung in gewöhnlichen Strafvollzugsanstalten nicht mit der Rechtsprechung des EuGH vereinbar ist (EuGH, Rechtssachen C-473/13, C-474/13 und C-514/13, 17.07.2014), denn Europarecht erlaubt eine gemeinsame Unterbringung mit Strafgefangenen nur im Falle einer Notlage, die hier doch sehr konstruiert erscheint.

Die Regierungspräsidien und unteren Ausländerbehörden können Abschiebungshaft bei den Amtsgerichten beantragen (§ 6 Abs. 5 Nr.1 AAZuVO BW). Ein solcher Antrag muss mit einer tragfähigen Begründung versehen werden, die allerdings im Laufe des Haftverfahrens noch nachgebessert werden kann, sodass Behörden Inhaftierungen im Nachhinein noch rechtfertigen könnten (§ 417 Abs. 3 FamFG). Über den Haftantrag entscheidet ein/e AmtsrichterIn, woraufhin, bei Bejahung, ein Haftanordnung ergeht und der/die Betroffene festgenommen werden darf. Oft werden Personen ohne diese richterliche Anordnung festgenommen und erst in der Haftanstalt dem/der Richterin vorgeführt. Dies ist rechtswidrig, wenn es sich um eine geplante Festnahme gehandelt hat (Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG).

Da Haft einen Freiheitsentzug zur Folge hat, bedeutet sie einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Deshalb kommt im Haftrecht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz herausragende Bedeutung zu. Somit ist Haft gemäß § 62 Abs. 1 AufenthG beispielsweise nicht verhältnisgemäß bzw. unzulässig, wenn der Zweck durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, z.B. Meldeauflagen (§ 61 Abs. 1e AufenthG). Das Verhältnismäßigkeitsprinzip gebietet es auch, den/die Betroffene nicht länger als zur Sicherung der Abschiebung unbedingt erforderlich in Haft zu nehmen. Aufgrund des schwerwiegenden Grundrechtseingriffs durch Abschiebungshaft, lohnt es sich stets zu überprüfen, ob die angeordnete Haft tatsächlich verhältnismäßig ist.

Praxishinweis: Ausreisepflichtige Personen, bei denen mit einer Verhaftung gerechnet werden muss, sollten die wichtigsten Telefonnummern von RechtsanwältInnen, Familienangehörigen und Vertrauenspersonen handschriftlich immer bei sich führen. Außerdem können Betroffene Vollmachten für RechtsanwältInnen, Familienangehörigen und Vertrauenspersonen in Sachen "Aufenthalt und Abschiebungshaft" bereits vorsorglich ausfertigen und ggf. der Ausländerbehörde vorlegen.

 

Rechte und Unterstützung für Geflüchtete in Abschiebungshaft

Menschen in Abschiebungshaft haben natürlich Anspruch auf rechtliches Gehör. Dazu gehört die Kenntnis vom Haftantrag und Haftbeschluss. Diese müssen dem/der Betroffenen in schriftlicher Form ausgehändigt und, sofern keine ausreichenden Deutschkenntnisse vorhanden sind, zumindest mündlich übersetzt werden. Darüber hinaus haben Personen, gegen die Abschiebungshaft angeordnet wurde, selbstverständlich das Recht, sich von einem Rechtsanwalt/einer Rechtsanwältin vertreten zu lassen und eine Vertrauensperson miteinzubeziehen. Rechtsanwalt/ Rechtsanwältin und Vertrauensperson haben u.a. das Recht bei der Anhörung vor dem Amtsgericht anwesend zu sein. Deshalb ist es wichtig, dass Inhaftierte sofort ihre Anwältin/ihren Anwalt und/oder Vertrauensperson nennen und darauf bestehen, dass auf deren Ankunft gewartet wird. Oft passieren Fehler in den Verfahren, z.B. wird die Haftdauer zu lange angeordnet, weshalb es sinnvoll ist gegen den Haftbeschluss Beschwerde beim Landgericht einzureichen. Das kann sogar nach erfolgter Abschiebung noch sinnvoll sein, denn war die Haft rechtswidrig verringern sich Haftkosten und Schadensersatz kann geltend gemacht werden. Das sollte ein Rechtsanwalt/eine Rechtsanwältin übernehmen. Es besteht aber kein Anwaltszwang, so dass man es auch selbst oder mithilfe von Vertrauenspersonen und Familienangehörigen machen kann (§ 429 Abs. 2 FamFG). Als Ehrenamtliche können Betroffene Sie als Vertrauensperson wählen, Einzelheiten dazu können Sie in dem Artikel von Frank Gockel nachlesen.

Abschiebungshäftlinge sollte der freie Zugang zu Internet und Telefon gewährleistet und Besuche, Kochen und Freizeitgestaltung gestattet sein. Außerdem besteht keine Arbeitspflicht (siehe Landtag Baden-Württemberg, S. 3). Trotzdem sind diese Bedingungen nicht immer gegeben und Kontaktaufnahme nach „draußen“ ist schwierig. Eine Begleitung von „draußen“ kann wichtige (emotionale) Unterstützung bedeuten. Wichtig ist dabei trotzdem, dass man sich nicht die gesamte Verantwortung für das Leben der Person in Abschiebungshaft auflädt. Aber man kann Hilfsnetzwerke aktivieren, siehe die hilfreichen Links weiter unten.

In der Abschiebungshafteinrichtung in Pforzheim gibt es eine unabhängige Beratung durch die Wohlfahrtsverbände. Der Zugang zu der Sozialarbeiterin dieser Beratungsstelle geht nur über eine telefonische Terminvereinbarung. Einen solchen kann man unter 0151/1884 6722 erhalten, dazu sollten der vollständiger Name und das Geburtsdatum des Inhaftierten auf Band gesprochen werden. Da manchmal Inhaftierten die Handys abgenommen werden, können auch Ehrenamtliche oder andere Personen die Beratungsstelle kontaktieren, sodass die Sozialarbeiterin dann den Betroffenen aufsuchen kann.

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Abschiebungshindernisse

Droht unmittelbar eine Abschiebung und entstehen Anhaltspunkte für ein Abschiebungshindernis, sollte man diese so schnell wie möglich – am besten per Fax – dem Regierungspräsidium Karlsruhe und der zuständigen Ausländerbehörde zur Kenntnis geben. In Dublin-Fällen muss unbedingt zusätzlich das BAMF informiert werden, das in Dublin-Fällen für die Prüfung von Abschiebungshindernissen zuständig ist. In jedem Fall müssen Nachweise über die jeweiligen Abschiebehindernisse mitvorgelegt werden.

Bei solchen Abschiebungshindernissen kann es sich beispielsweise um eine unmittelbar bevorstehende Eheschließung/Eintragung einer Lebenspartnerschaft oder eine Eingabe bei der Härtefallkommission handeln. U.U. können auch der Tod eines nahen Angehörigen oder die Geburt eines Kindes, für das der/die Betroffene das Sorge- oder Umgangsrecht innehat und ausüben will, ein Abschiebehindernis darstellen. V.a. kann ein Abschiebehindernis bei schwerer Krankheit vorliegen, die eine Reiseunfähigkeit zur Folge hat oder im Zielstaat nicht (adäquat) behandelbar ist. Die gesetzlichen Hürden für krankheitsbedingte Abschiebungshindernisse sind hoch, insofern als die Grundvermutung gilt, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen (§ 60a Abs. 2c AufenthG). Ihre erfolgreiche Geltendmachung setzt voraus, dass der zuständigen Behörde bzw. dem Gericht eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorgelegt wird. Das bedeutet, dass ein/e approbierte/r Arzt/Ärztin diese Bescheinigung ausstellen muss, die Stellungnahme eines/r psychologischen PsychotherapeutIn reicht hierfür grundsätzlich nicht aus, sollte aber trotzdem vorgelegt werden. Die qualifizierte ärztliche Bescheinigung muss auf folgende Punkte eingehen:

  • tatsächliche Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist,
  • Methode der Tatsachenerhebung
  • fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes
  • Schweregrad der Erkrankung
  • den lateinischen Namen oder die Klassifizierung der Erkrankung nach ICD 10
  • die Folgen, die sich aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben
  • Zur Behandlung der Erkrankung erforderliche Medikamente müssen mit der Angabe ihrer Wirkstoffe und diese mit ihrer international gebräuchlichen Bezeichnung aufgeführt sein

Eine solche Bescheinigung muss gemäß § 60a Abs. 2d AufenthG unverzüglich vorgelegt werden. Nach der Gesetzesbegründung bedeutet dies, dass die Bescheinigung nicht älter als zwei Wochen sein darf. Wird das Attest nicht unverzüglich vorgelegt, darf die Behörde das Vorbringen der Person nicht berücksichtigen. Gleiches gilt, wenn die Bescheinigung nicht den in § 60a Abs. 2c AufenthG beschriebenen Kriterien entspricht. Als Ehrenamtliche/r kann man hier unterstützen, indem man den/die MedizinerIn auf die gesetzlichen Vorgaben aufmerksam macht.

Insbesondere in Dublin-Fällen kann u.U. ein Kirchenasyl ein letztes Mittel sein, um eine Abschiebung zu verhindern. Dies muss jedoch gut innerhalb der Kirchengemeinde abgesprochen sein und dem BAMF gegenüber kommuniziert werden. Weitere Informationen gibt es bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirchenasyl.

Nützliche Links:

Leben in der Illegalität

Einige Geflüchtete entscheiden sich aus Angst vor Abschiebung für ein Leben in der Illegalität. Dies bringt vielfältige Schwierigkeiten mit sich. Weitere Informationen hierzu finden sich im Beratungshandbuch von DRK und Caritas